Mit wenig Deutsch keinen Job?

Erfolgsgeschichten
Mit wenig Deutsch keinen Job?

Der etwas längere Weg in den Arbeitsmarkt mit geringen Deutschkenntnissen

Unsere Kundin Frau K. ist zum Zeitpunkt des Coachings 51 Jahre alt. Sie ist Hausfrau und Mutter von zwei Kindern. Sie hat in Afghanistan keine Schule besucht und kann „persisch-Dari“ weder lesen noch schreiben. In ihrer Heimat ist der Zugang zu Bildung, und damit ein Schulbesuch, Privileg der Jungen. Demzufolge konnte auch sie sich nur innerhalb ihrer Familie bewegen, wirken und behaupten.

Frau K. stammt aus einer Händlerfamilie. Ihr Vater betrieb einen Lebensmittelladen, ihr späterer Mann einen Bekleidungsladen. In Afghanistan verinnerlichte sie ihre Rolle als Tochter, Ehefrau, Hausfrau und Mutter. Wie viele Frauen in Afghanistan gehörte sie, nicht nur während der Taliban-Herrschaft, zum „unsichtbaren“ Teil der Gesellschaft. 

Frau K´s Muttersprache ist Hindi, und sie gehört zur religiösen Minderheit der Hindus. „Ich habe viel Krieg gesehen in Afghanistan. Immer Krieg und Bürgerkrieg seit ich Kind bin. Sehr, sehr schwer für Hindus dort. Wir sind heute nur noch wenige Hindu-Familien. Vielleicht 50 Familien.“ schätzt Frau K. 2012 hat sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern aufgrund von Diskriminierung, religiösem Fanatismus, fehlender Sicherheit, schlechten wirtschaftlichen Bedingungen und Missachtung der Bürgerrechte das Land verlassen. Die Kinder sind inzwischen 17 und 21 Jahre alt. Sie sind ihr ganzer Stolz. Ihre Tochter macht eine Ausbildung zur Bürokauffrau und ihr Sohn ist auf dem besten Weg zum Abitur. 2022 erlitt die Kundin einen weiteren Schicksalsschlag: Sie verlor ihren Mann. 

Mit Interesse an ihrer Person und Geschichte beginnt unser Rapportaufbau. In den Coachings passt sich ihre Beraterin der Sprechgeschwindigkeit und der sanften Stimme von Frau K. an. Schreiben und lesen hat sie hier in Deutschland gelernt. Ein Sprachzertifkat weist Kenntnisse unter „A2“ aus. Die Möglichkeiten einer weiteren Sprachförderung sind für sie ausgeschöpft. Sie kann sich auf einfache Art und Weise verständigen, wenn die Gesprächspartner*innen bereit sind zu helfen und langsam und deutlich sprechen. Überraschend ist jedoch ihre schöne und klare Handschrift. Deshalb fing sie mit ihrem Coach  an, ein kleines Lern- und Vokabelheft zu führen. 

Frau K. besitzt praktische Erfahrungen in der Haushaltsführung und Organisation von Familienangelegenheiten. Nach vielen Jahren nun ist sie bereit aus ihrer angestammten Rolle als Hausfrau und Mutter herauszutreten. Ihre klare Zielvorstellung ist es, als Küchenhilfe zu arbeiten.

Die Biographiearbeit ist abgeschlossen, der Lebenslauf erstellt, ein neues internetfähiges Handy angeschafft, und es geht los mit der Jobsuche. Parallel führt sie das Lernheft mit „Küchenvokabular“ und Bildern zu Küchenutensilien weiter, und  spricht mit ihrer Ingeus-Betreuerin über die vielfältigen Kompetenzen beim Zubereiten und Präsentieren von Mahlzeiten. Es scheint eine gute Idee zuerst mit einem Praktikum zu beginnen, da sie keine Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt gesammelt hat. In Wohnortnähe bietet sich ein gemeinnütziges Projekt an, ein Restaurant in dem Frau K. praktisch arbeiten, Arbeitsabläufe in der Gastronomie kennenlernen, soziale Kontakte knüpfen, und ihr Deutsch verbessern kann. 

Sie absolviert drei Probearbeitstage dort. Sie ist zufrieden und es gefällt ihr, aber sie soll ein einmonatiges Praktikum absolvieren. Wir kontaktieren das Jobcenter, welches zustimmt. Aus Sicht des potenziellen Arbeitgebers müsse Frau K. lernen, wie man mit den Geräten umgeht, wie man mit Gästen umgeht, was man bei einem deutschen Arbeitsverhältnis generell zu beachten hat. Zudem seien ihre Deutschkenntnisse sehr gering, und sie verfüge über keine Qualifikationen. Das Praktikum sei auf jeden Fall ein Gewinn, um erste Erfahrungen zu sammeln, auf denen sie aufbauen kann. Zudem solle Frau K. eine Praktikumsaufnahme nicht an Bedingungen knüpfen, im Sinne von „ich mache nur ein Praktikum, wenn ich eine Übernahmegarantie habe“. Frau K.´s Enttäuschung und Unverständnis ist groß, als sie erfährt, dass möglicherweise das Praktikum nicht in eine sofortige Einstellung mündet. 

Sie möchte gemeinsam weiter nach anderen Arbeitgebern suchen. Es fällt ihr schwer, sich über Online-Plattformen selbständig zu bewerben. Mit ihrem Coach versendet sie nun Bewerbungen für das Stellenprofil Küchenhilfe oder Essensausgabe an Restaurants, Schulen, Kitas, Seniorenheime und Krankenhäuser. Bei jedem Coachingtermin werden die Rückmeldungen geprüft. Eine freundliche Absage folgt der der anderen. Sie bleibt zuversichtlich und optimistisch. Sie ist fest entschlossen eine Arbeit in Teilzeit finden. Und dann ist es tatsächlich so weit. Eine Einladung zum Probearbeiten und schlussendlich die Nachricht des Arbeitgebers: „Es gibt Mails, die schreiben wir besonders gerne und diese gehört dazu. Warum? Weil Sie uns überzeugt haben! Vielen Dank für Ihre Bewerbung für unseren Unternehmensbereich Speiseversorgung“

Nach der Pflicht folgt die Kür. Ihre Ingeus-Beraterin organisiert für Frau K. den Gesundheitspass, terminiert beim Hausarzt den Termin für den Immunitätsausweis, füllt mit ihr den Personalfragebogen aus und beantragt Einstiegsgeld beim Jobcenter. Frau K. wird zum 01.04.2025 unbefristet eingestellt und eine Tätigkeit mit 36 Stunden/Woche aufnehmen. Am Tag der anberaumten Vertragsunterzeichnung streiken die Berliner Verkehrsbetriebe. Wieder einmal. Aber auch diese Hürde hat ihr Coach genommen. 

Frau K. ist keine Frau der großen Worte. Die sonst zurückhaltende, ruhige Frau bedankt sich mit einer herzlichen Umarmung. Sie hat es im doppelten Sinne geschafft. Sie wird in der Exil-Gesellschaft sichtbar und hat mit wenig Deutschkenntnissen einen Job gefunden. Wir gratulieren Frau K. und wünschen ihr weiterhin alles Gute im beruflichen, wie im privaten Leben!