Flexible Arbeitszeiten, Unterstützung bei der Suche nach einem passenden Kinderbetreuungsplatz, familienfreundliche Arbeitsmodelle und sozialverträgliche Entlohnung – all dies sind Themen, die für alleinerziehende Elternteile von ausschlaggebender Bedeutung sind. Über 100 Teilnehmer diskutierten diese Themen auf der von Ingeus organisierten Fachtagung „Alleinerziehende auf dem Arbeitsmarkt – Potentiale erkennen, Strukturen anpassen“ am 5. September 2018 in Berlin. Viele Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt von Jobcentern und Arbeitsagenturen aber auch familienfreundliche Arbeitgeber, Vertreter von Sozial- und Alleinerziehendenverbänden, Selbsthilfegruppen und Familienbüros und alleinerziehende Mütter und Väter tauschten sich bei der Fachtagung darüber aus, wie es Alleinerziehenden erleichtert werden kann, Beruf und Familienaufgaben unter einen Hut zu bringen. Dass das Thema nicht nur in Berlin mit seinem hohen Anteil armutsgefährdeter Kinder auf den Akteuren auf den Nägeln brennt, zeigt die breite regionale Verteilung des Teilnehmerfeldes: Neben Berliner*innen und Brandenburger*innen nahmen auch Interessierte aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen. Sachsen und Bayern den Weg nach Berlin auf sich.
Marc Hanke, Geschäftsführer der Ingeus GmbH, eröffnete die Tagung mit einem Eingangsstatement. Er griff die Vorurteile auf, die Alleinerziehenden oft in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt entgegengebracht würden. Alleinerziehende wären unflexibel, ständig krank oder abwesend wegen der kranken Kinder und dadurch unzuverlässig. Aus der langjährigen Erfahrung der Ingeus GmbH in der Arbeitsvermittlung von alleinerziehenden Müttern und Vätern berichtete er eine gänzlich unterschiedliche Erfahrung. Zwar dauere es länger, bis alleinerziehende Teilnehmer*innen an Ingeus-Programmen in Arbeit integriert werden können. Aber wer einmal eine für seine Wünsche und seine Lebenslage passende Stelle gefunden habe, habe große Chancen auch lange bei seinem Arbeitgeber zu bleiben. Alleinerziehende seien nämlich besonders zuverlässige und gut organisierte Mitarbeiter*innen.
Gabriele Schmitz, Leiterin der Geschäftsstelle des Berliner Beirats für Familienfragen, beleuchtete in ihrem Vortrag „Zwischen Fachkräftemangel und Demographischem Wandel – wie viel Familie kann sich Wirtschaft leisten, wie viel Wirtschaft kann Familie bedienen?“ vor allem den Punkt „Zeitmanagement“. Berufstätige Mütter brauchen neben ihrem Beruf noch mehr Zeit für Haushalt, Kinderbetreuung, Behördengängen und Arztbesuchen als die Woche hergibt. Daher sind alle Akteure gefragt, um den Müttern die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie zu ermöglichen. Vor allem weil gerade Alleinerziehende eine sehr hohe Motivation haben wieder in Arbeit zu kommen.
Alleinerziehende: Sie haben unterschiedliche Hintergründe, aber dasselbe Ziel
Prof. Dr. Esther Lehnert von der Alice-Salomon-Hochschule Berlin widmete sich der Frage „Diversity in der Arbeitswelt – nur ein schönes Wort?“. Nach einem kurzen historischen Abriss stellte sie die Frage, inwieweit die Wertschätzung von Vielfalt tatsächlich in der Gesellschaft angekommen ist. Jeder sei anders und auch wenn man anerkenne, dass es verschiedene Menschen und Lebensformen gibt, müsse man sich dessen bewusst werden, dass es zwar eine große Zahl alleinerziehender Mütter und Väter gibt, aber nicht alle Alleinerziehenden unter denselben Gesichtspunkten betrachtet werden können.
„Nehmen Sie Alleinerziehende in ihrer Unterschiedlichkeit wahr. Haben Sie Respekt vor dem was alleinerziehende Mütter und Väter leisten.“ beschloss Prof. Dr. Esther Lehnert ihren Vortrag.
Ayanga Victoria Edubio, Arbeitsvermittlerin am Jobcenter Berlin Spandau, sprach in ihrem Vortrag „Motivation-Gap oder Situation-Gap?“ die Problematik der Bildung an. Die meisten der alleinerziehenden ALG-II Bezieherinnen hätten einen Schulabschluss. Doch nur die Hälfte verfüge auch über eine abgeschlossene Berufsausbildung. Ein fehlender Abschluss, fehlende Erfahrung und der Mangel an Informationen zum Thema Teilzeitausbildung führe bei vielen jungen Alleinerziehenden dazu, dass sie im Kreislauf des Leistungsbezugs festsäßen.
Katrin Kirchert, alleinerziehende Rechtsanwältin aus Berlin, rundete den Vormittag mit einem Erfahrungsbericht ab. Ihr Weg führte sie über verschiedene unterqualifizierte Teilzeitjobs und Vollzeitbeschäftigung mit starren Arbeitszeiten und Unverständnis letztendlich in die Selbstständigkeit.
Die Erkenntnis „Je höher der Bildungsstand, desto geringer die Möglichkeit einen qualifizierten Teilzeitjob zu finden, der nicht zum Karrierekiller wird“, war für sie damals ebenso schwer zu verdauen wie die Erkenntnis, dass viele Arbeitgeber nach wie vor viel zu wenig Vertrauen in ihre Mitarbeiter haben - egal ob alleinerziehend oder nicht.
Was kann man tun? Was wird bereits getan?
Von der hohen Diversität der Teilnehmer*innen profitierte die Arbeit in den Workshops zu den Themen „Arbeitszeitmodelle und Lebensarbeitszeit“, „Diversität - Potentiale erkennen“, „Motivatoren und Motivation aller Akteure“ und „Ausbildung in Teilzeit - Strukturen anpassen“. Die unterschiedlichen Erfahrungen von Arbeitgeber*innen, Mitarbeiter*innen der Arbeitsverwaltung, Behörden und Sozialeinrichtungen kombiniert mit der Sichtweise von Selbsthilfeorganisationen von Alleinerziehenden befruchtete den Erfahrungsaustausch. Trotz der Verbesserungen der letzten Jahre war die Frage einer sicheren Kinderbetreuung auch in Randzeiten für die Teilnehmer*innen weiter ein sehr wichtiges Thema. Hier wurde auch angeregt, dass eine weitere Öffnung der Zugangswege zur Erzieher*innenausbildung und eine bessere Bezahlung nötig erscheint, um auch genügend qualifiziertes Personal für die Kinderbetreuung zu gewinnen. Auch erschien es wichtig, die Potentiale von Alleinerziehenden wie Loyalität, Organisationsfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein und auch die frischen Sichtweisen, die sie in ein Unternehmen bringen können, noch stärker bekannt zu machen. Flexible, auf die Lebenssituation von Menschen mit Familienaufgaben abgestimmte Arbeitszeitmodelle wurden nicht nur als Aufgabe der Arbeitgeber*innen gesehen. Auch ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein und die damit verbundene Offenheit in den Belegschaften für eine gewisse Bevorzugung von Erziehenden bei der Dienstplangestaltung sollte gefördert werden.
Auf einem Marktplatz konnten sich die Teilnehmer*innen an Ständen von Shia e.V., dem Verband alleinerziehender Väter und Mütter, dem Zentrum für Familienplanung, dem Netzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ und bei „Gleichstellung gewinnt“ zu den jeweiligen Angeboten informieren. Als familienfreundliche Arbeitgeber*innen präsentierten sich die Gegenbauer SE und die GIG Technology & Real Estate GmbH.